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Höhere Sphären


Reise durch Musikgeschichte im Horningsrindenturm

 

Der zweite Abend des Sachsbachwaldener Festivals wandelte die TON:arten zu TON:sphären.

Dazu mussten sich die Besucher in den offenen Konzertraum im kühlen Fernsehturm auf der Hornisgrinde begeben. Sie hatten es nicht zu bereuen. Mehr noch als das Programm einer “Reise durch die Musikgeschichte” faszinierte die sorgfältig bedachte Klangwirkung der sechs Musiker im rot, türkis oder nur fahl ausgeleuchteten Turminneren. Sie begannen und endeten in völliger Dunkelheit wie im Bayreuther Festspielhaus aus unsichtbarer Tonquelle; so wie dort das verborgenen Orchester den Hörer in suggestiv-unbestimmbare Ton-im-Raum-Eindrücke versetzt, so erklang von irgendwo zur Violinbegleitung die gedämpft-zauberhafte Soranstimme von Catrin Kirchner. Sie eröffnete mit dem jahrtausendalten Hymnus des Johannes, des Patrons der Kirchenmusik.

Erst danach wurde man eines Instrumentalisten ansichtig: Matthew Jones mit seiner Theorbe, einer mannshohen Basslaute, intonierte auf der Bühne ein Stück aus dem Frühbarock. Der sehr hohe Raum bot nicht nur für die tiefen Harfenklänge der Theorbe ein akustisches Phänomen: Durch den Halleffekt vervielfältigen sich die Töne und suggerieren neue Räume, aus denen sie das Ohr erreichen. Als kostbare Klangrätsel drangen Akkorde von Dowland und Purcell des zunächst unsichtbaren “Ensemble Resonanz”zum Hörer: Mit den unablässig abwärts gerichteten Tonfolgen der Streicher nahm Didos Todesklage die Farbe von welkenden Klängen an, da sich das Decrescendo der Töne nachhallend verzögert. Der hochentwickelte Klangsinn der Künstler schuf so Klangmischungen auch an der Grenze der Unterscheidungsmöglichkeit. Das Largo aus dem Violinkonzert Nr.8 von Vivaldi, von Gregor Dierck in strahlenden Konturen interpretiert, ging leichter ins Ohr als die zu schnellen Violinachtel aus der Bach-Kantate

“Jesus bleibet meine Freude” , aus der freilich die langen Noten Dank der Sopranstimme von Catrin Kirchner hell ins Turminnere ragten. Dass sie auch eine hochbegabte Opernsängerin ist, bestätigte der frenetische Beifall nach ihrer leidenschaftlichen Händel-Arie aus “Serse”:

welch exressive Furie schien da hervorzusteigen!

Heiter gemessen öffneten die Musiker den Weg zur Klasssik. Mozart- und Beethoven-Beispiele waren so ausgewählt, dass die Klarheit der Form wunderbar transparent blieb. Duftig und zart tönte “Die Laute” von Schubert. War der Quartettsatz g-moll des noch jungen Debussy der Höhepunkt des insgesamt schon unvergleichlichen Abends? Dem wogenden Flukturieren des Andantino kam die Akustik der TON:sphären naturgemäß besonders entgegen. Noch nahtloser, noch mehr im Sinne des Impressionisten verschmolz jedes schwelgende Legato.

Wie unterscheidet sich ein Festival im Medienzeitalter vom “normalen” Konzertbetrieb? Indem es zum singulären, nicht reproduzierbaren Ereignis wird. Nur ungefähr wird der SWR-Mittschnitt davon künden.

Die lange stehend applaudierenden Zuhörer fühlten: das wirkliche Erleben ist das Dabeisein.