Badische Zeitung 26.12.2012

Der Schmerz wird zelebriert

Jede Menge Glut lieferte die spanische Premiere der Offenburger Kreuzgangkonzerte

OFFENBURG. Dass man erst in dritter Linie an Spanien als Nation der klassischen oder romantischen Musik denkt, liegt daran, dass spanische Komponisten kaum populäreWerke in den großen Formen Sinfonie, Konzert, Oper hervorbrachten. Zieht man dieSymphonie espagnol von Lalo und Bizets Carmen – zwei Werke aus Frankreich – ab,bleibt nur Rodrigos "Concierto de Aranjuez".

Groß dagegen ist das Angebot an Salonstücken, die hoch virtuos spanische Folkloreverarbeiten. Am Sonntag bei der Eröffnung der Kreuzgangkonzerte, die wegen drohenden Regens in den Salmen verlegt wurde, gab es davon eine Auswahl, stimmungsvolle Werke, Virtuosenstücke, die brillant gespielt jedem Publikum ein Bravo entlocken. Es zeigte sich jedoch, dass sie eine feinere Dosierung brauchen als an diesemmit  "La noche espangola"  betitelten Abend. Die dargebotenen Werke von Enrique Granados, Gaspar Cassadó, Joaquin Turina, Isaac Albéniz und anderen beschworen immer wieder spanische Glut, spanische Schwermu tund spanische Leidenschaft. Da scheinen Klänge wie Luftspiegelungen zu erzittern in spanischer Hitze, dann wiederum ist es die Hitze der Leidenschaft, die Klavierakkorde sich türmen lässt, stolze Rhythmen in die Musik stampft, Flamenco, Habanera, Seguillada. Das ist toll, das fasziniert, das reißt mit, darin lässt sich schwelgen. Aber nach dem fünften oder sechsten Werk dieser Art stellt sich doch ein Gefühl der Sättigung ein, auch wenn die Pianistin Anna Adamik und Martin Merker am Cello, teils imDuett, teils solistisch, diese Stücke mit Sinnlichkeit und Verve darboten. Jeweils an das Ende der beiden Programmhälften gestellt waren zwei kurze Liederzyklen, Gedichte in Liedform" von Joaquin Turina (1882 bis 1949) und "Sieben spanischeVolkslieder" von Turinas Zeitgenossen Manuel de Falla. De Fallas Lieder waren teils superkurz, Streiflichter, Schlaglichter, überhöhte Folklore in Skizzenform. Eindrücklich sind die Lieder dennoch. Da sprudeln Silben expressiv und heftig, als wäre etwas hoch Dramatisches passiert. Andere Lieder klingen wie halblaute Liebesschwüre. "Asturiana" ist eine anmutsvolle Klage, die Tonhöhe wird dabei kaum variiert, der Schmerz umso mehr zelebriert. Mitunter klingt der Gesang nach Rezitativ, was bei den gesungenen Gedichten von Turina noch stärker ist. Auch dort sind Expressivität und Leidenschaft immer am oberen Pegel, der Schmerzensruf "Ai" allgegenwärtig. Catrin Kirchner, die man als Rusalka in er gleichnamigen Oper, aufgeführt vor drei Jahren durch die Offenburger Philharmonie am Forum, bestens im Gedächtnis hat, ist eine Idealbesetzung für diese Lieder. Sängerisch ist sie makellos, Expressivität scheint ih rMarkenzeichen zu sein, doch auch Verletzlichkeit, Sehnsucht, Erwartungsfreude spiegeltsie mühelos in ihrer Stimme, jede dieser "Canziones" zur Mini-Oper wandelnd. Als Einstieg und Rausschmeißer sang sie die Habanera aus "Carmen" und den berühmtenSpanien-Fetzer "Granada" – der auch nicht aus Spanien stammt, sondern von einemMexikaner geschrieben wurde. (Robert Ullmann)

 

 

26.06.2012 Mittelbadische Presse

Gefühlsstürme mit Carmen

Catrin Kirchner, Anna Adamik und Martin Merker eröffnen Kreuzgangkonzerte mit»noche española

 

«Die Spanische Musik im »Patio« des alten Kapuziner-Kreuzgangs – das wäre natürlichstilvoller gewesen. Aber auch im trockenen Salmen zündeten die leidenschaftlichen Lieder von »Carmen« Catrin Kirchner.Offenburg. Etwas mehr als hundert Liebhaber spanischer Musik wurden mit der »Habanera« ohneVorwarnung in die Gefühlsstürme der »Carmen« hineingerissen – ein riskanter Auftakt, der Sopranistin Catrin Kirchner aber hinreißend gelang. Äußerlich gar nicht südländisch, sondern blond– mit schwarzer Hose, roter Bluse und goldenem Gürtel aber doch in Torero-Nähe gerückt, – schuf sie mit ihrer variablen Stimme perfekte Theateratmosphäre. Sicher in allen Nuancen: Piano-weiches Gefühl, metallisches Forte in der Höhe und fast ordinäre Breite des Zigeunermädchens in der Tiefewechselten sekundenschnell. Mit Anna Adamik am Klavier hatte sie eine ideale Begleiterin. Das Programm aus zehn Nummern, fünf vor, fünf nach der Pause, setzte sich instrumental fort mit»Tänzen nach Bildern von Goya« von Enrique Granados. Der Cellist Martin Merker, der öfter inBarcelona musiziert und diese »noche española« konzipiert hat, bewies im Zusammenspiel mit derPianistin Intuition und Virtuosität. Er ließ sein Instrument in den höchsten Lagen singen und sprangvom gestauten Crescendo ins leiseste Flageolett. Die »Andaluza« hatte rassiges Flamenco-Tempo,die Pianistin imitierte in der linken Hand das Tambourin. Und das Publikum freute sich, wenn bekannte Melodien wie »La Paloma« Urlaubsgefühle wach riefen. Bei den »Reqiebros« (Schmeicheleien) von Gaspar Cassadó konnte Merker seine technische Brillanz zeigen: Das machtei hm sichtlich Spaß, den Zuhörern aber auch. Liebesschmerz Anna Adamik spielte solo zwei »fantastische Tänze« von Joaquín Turina: Der erste überhöhte raffiniert eine schlichte Tanzmelodie, der zweite zog das Publikum im Spielrausch der Gegensätze in Bann. Vom selben Komponisten Turina folgten vier »poemas«, in denen die Sopranistin ihren Liebesschmerz hinausschrie – bebende Raserei, äußerst expressiv gestaltet. »Las locas de amor«(die vor Liebe verrückt sind) war der Höhepunkt. Nach der Pause spielte Martin Merker Cello-Kompositionen des Katalanen Rogélio Huguet y Tagell.Die »Hallucinations« (Albträume) hat ein Häftling der Inquisition, der von bösen Geistern gequältschließlich beim dritten Glockenschlag stirbt. »Damit Sie aber nicht so deprimiert sind, spiele ichdanach einen Flamenco«, heiterte er die Zuhörer auf. Mit Anna Adamik spielte er Tänze von Manuel de Falla. Bei der »danza del terror« gab der Springbogen einen scharfen Rhythmus, der »Feuertanz« erinnerte ein bisschen an den»Hummelflug«. Der Tango von Isaac Albéniz besaß Lyrik und Strenge, melodiösen Reichtum, der in Doppelgriffen ausgebreitet wurde. Im Finale sang Catrin Kirchner sieben Lieder, die de Falla für Klavier geschrieben, Merker aber miteiner Cello-Stimme bereichert hat. Und so fasste diese Nummer noch einmal alle Eindrücke desAbends zusammen: die Rhythmus-Lust in der 6/8-Jota, die Sanftheit im »Schlafe wohl«-Wiegenlied und die arabischen »Aiii«-Schreie in »Polo«. Begeisterter Beifall und Bravo-Rufe des Publikums hielten an, bis die Akteure auf der Bühne den Rausschmeißer »Granada« zugaben und mit Wein verabschiedet wurden.

(Gottfried Wiedemer)