14.05.2012 Südkurier

Kühn ums Kap der Großen Oper

Das Stadttheater Konstanz geht mit der Meyerbeer-Oper „Die Afrikanerin“ an Bord und macht den Bodensee zum Indischen Ozean.

Ob es die Szenen in Lissabon, auf den stürmischen Wogen des indischen Ozeans oder im königlichen Hindostan waren, für alle war's bei der Fähre-Premiere kalt.

Aber so kurzweilig, theatralisch vital wurde auf den Planken der kleinen „Meersburg ex Konstanz“ vom Theater Konstanz agiert, so wohlversehen mit arktisgeeigneten Decken erlebten die rund 140 Spektakelgenießer die pausenlosen 100 Minuten,

dass das Wagnis, Meyerbeers „Grand Opéra“ auf Regionalformat zu reduzieren,

ein einhelliger Erfolg wurde: Klatschen für Koloraturen, Zustimmung für ein Tango-Terzett, Beifall für Szenenüberraschungen, Jubel nach dem Ende ohne Opern-Weltschmerz. 

Denn die Dramen-Afrikanerin Selica legt sich nicht mit Suizid-Pianissimo unter den giftig duftenden Manzanillobaum, sondern wirft mit emanzipatorischem Fortissimo „Go! Go! go!“ den Seefahrer hinaus, und gönnt ihn der liebenden Ines – menschlich groß, dramatisch ergiebig.

Original und Erneuerung: Statt eines opulenten Meyerbeer eine Werk-Miniatur,

statt Massen stilistische Mengen, collagen-bunt. Wohl hörte man melodische und musikdramatische Kostbarkeiten des Originals ( Einleitungslyrik, Nelusco-Ballade, Ines-Arie, großes Damenduett, starken Inquisitionschor), aber vieles nur 

andeutungsweise und verändert. Gelang nicht jede Einzelheit, so fesselte doch das Gesamtspiel. Musik-Arrangeur Tobias Schwencke und die für Bilder und Bewegung fantasiereich wirkende Regisseurin Jasmina Hadziahmetovic gaben jeder Gestalt ein durch Klang und Klamotten ausgezeichnetes Profil, packend agierende Opern-Individualitäten.

Die Stil-Mixtur nach Meyerbeer-Noten, für den Originalverehrer bedenklich, für den Spontangenießer war sie reizvoll, unterhaltsam. Die Handlung mit Gesang (verständlich gesprochen, gefühlvoll gesungen) stellte vor: Ines (Catrin Kirchner)

mit Koloratursopran, herrlich im Melos, köstlich in Primadonnen-Takten, eine Nobel-Portugiesin. Selica (Siggy Davis), die amerikanische „Afrikanerin“ mit Jazz- und Seelensound, großer Stimme, prachtvollem Starkvibrato – eine königliche Figur

aus exotischer Kunstregion.

Vasco, der nach Indien und in die eigene Unsterblichkeit segeln will, erschien als Naturbursche mit Strohhut. Er erreichte als singender Schauspieler zuweilen parodistischen Effekt, wenn er als Gitarrenbarde Kabarett-Belcanto vom Chanson

bis zur Schnulze bot und die berühmte Paradies-Vision wie ein antiquiertes Meyerbeer-Zitat intonierte. Dagegen war der Selica-Liebhaber Nelusco ein heller Opern-Tenor, seine Ballade vom Gott der Wellen eine Bravour-Nummer, sein Ensembleeinsatz von musikdramatischer Stimmenergie.

Regie und Ausstattung (Valentina Crnkovic) bauten starke Bilder.

Wie die drei Bischöfe im ersten Akt steil standen wie ein gotischer Spitzturm, wie aus Holzkisten ein Inquisitionsgefängnis wurde, wie im Meeresakt das Schiff losdieselte,

in Sturm (statt meteorologisch mit blauen Flattertüchern) geriet und von einem Motorkahn gerettet wird, wie die Brahmapriester samt Chor ein Schwurritual mit frommer Musik feierten, das Finale dann die Gestalten-Dramatik steigerte und Selica in gelbgoldenem Ornat musisch und szenisch ihre Opern-Feudalität bestätigte,

das sicherte dem Freiluft-Opernfest Kurzweil, Spannung, Klangeigenheit, Theaterlebendigkeit, förderte vielleicht gar das Verlangen, den alten Meyerbeer wieder einmal original zu belauschen. Novitäts- und Regietheater sind wunderbar, wenn sie die Lust aufs Originale wecken. Auch das gelang dem freiluftigen Staader Grand-Opéra-Vergnügen. Helmut Weidhase 

 

14.05.2012 St.Galler Tagblatt

Belcanto trifft feurigen Soul

KONSTANZ. Dieses Spektakel hat das Zeug, zum kulturellen Highlight des Bodensee-Frühlings zu werden: Das Theater Konstanz hat die Meyerbeer-Oper

«Die Afrikanerin» wunderbar eindringlich für ein Kammerspiel auf einer historischen

Fähre adaptiert.

 

Wenn man sich gar nicht nach einer «echten» Oper sehnt, wenn eine Kombination von Theater, Oper, Schlager, Musical, Belcanto und Jazz nicht zu einem blossen Gag, sondern zu Musik- und Bühnenvergnügen allererster Qualität wird, dann ist man mittendrin in der Adaption der Giacomo-Meyerbeer-Oper «Die Afrikanerin», die Tobias Schwencke bearbeitet hat. Es geht in diesem Stück um die Geschichte des portugiesischen Seefahrers Vasco da Gama, der gleich zweimal von Frauen aus verschiedenen Kulturen «gerettet» wird; es geht, eben gerade weil die Adaption so gelungen ist, auch um Fremdheit, um die Sehnsucht nach fremden Kulturen, aber auch um ihr unverstelltes Aufeinandertreffen.

Ausgelassen und frisch

Die Inszenierung unter der Regie von Jasmina Hadziahmetovic nimmt sich das Beste aus der Oper ohne eben grosses Opernbrimborium. Und musikalisch wirkt das Einflechten von Jazzsoul, von Broadway-Duft, von Schlager und Liedermacherwelt so richtig kräftig, fröhlich, ausgelassen und frisch. Geht es in der «Afrikanerin» auch um die Entdeckung des Fremden an sich, gelingt es der Inszenierung mit einer fulminanten gesanglichen Schlussszene, auch verschiedene Gesangskulturen packend aufeinandertreffen zu lassen. Die Auftritte von Jazzsängerin Siggy Davis, ganz sicher die schwarze Königin dieser Bodenseenacht, und der wunderbare Belcanto Catrin Kirchners: Man wurde Zeuge zweier kraftvoll-virtuoser Stimmphilosophien.

Lausbübischer Seefahrer

Gesanglich ist auch Wieland Lemke als Sklave Nelusco ein weiterer Garant für hochstehenden Belcanto auf der historischen Fähre. Mit Ingo Biermann als Vasco da Gama agiert ein Seefahrer fast ein wenig in lausbübischer Manier. Gewitzt und frech benimmt er sich gegenüber den Inquisitoren. Sympathisch, wie Biermann weniger als Held der Weltgeschichte auftritt, sondern als neugieriger, abenteuerlustiger, verwegener Portugiese. Er gibt dem Abend schauspielerischen Drive, und seine Auftritte als Gitarre spielender Liedermacher sind Höhepunkte. Überhaupt begeistert diese Inszenierung durch fünf Schauspieler, die sich immer wieder gekonnt auch ins Gesangliche wagen. Da ist Ralf Beckord als bühnenpräsenter Gegenspieler von Vasco da Gama, da ist aber auch ein potentes Priester- und Inquisitoren-Trio mit den gern gesehenen Namen Frank Lettenewitsch, Otto Edelmann und Odo Jergitsch. Kraftvoll fungiert auch ein Chor von rund zwei Dutzend Mitgliedern, der stimmgewaltig auf beiden Seiten des Fähreaufbaus als integrativer Bestandteil des Bühnenbildes fungiert.

Herrlich geschmeidig bewegt sich ein quicklebendiges Musikerquintett (Riccarda Caflisch, John Eckhardt, Susanne Jablonski, Tobias Schwencke, Eva Zöllner)durch bunte musikalische Stilwelten. Diese Inszenierung hat nie Angst, vielleicht zu viel an Meyerbeers Original herumzuschnippeln, nein: sie schnippelt eben lustvoll daran herum, mit dem Ergebnis, dass man ganz viel intensiven Belcanto erlebt, der Stoff aufgelockert ist und auch ein wenig Klamauk und Kitsch tolle Ingredienzien für einen prallvollen Opern-Theaterabend werden.

Die «Afrikanerin» setzt einen lustvollen Akzent bei der Bespielung des Sees. Unter zehn Grad war es bei der glücklicherweise regenfreien Premiere. Aber Konstanz wurde so schnell und leichtfüssig Lissabon, dass man die Eisheiligen vergass. Diese Inszenierung ist ein lohnendes Frühsommer-Vergnügen! Martin Preisser