Hamburger Abendblatt, 20.11.08

Im Angesicht des Todes

Stühle. Überall Stühle. Auf der Kampnagel-Bühne verteilt, hinten zum Scheiterhaufen gestapelt, und natürlich im Zuschauerraum. Die vierbeinigen Gesellen werden zum Sinnbild für den Menschen. Als plötzlich ein Stuhl von der Decke kracht, ist die Party vorbei: Der Schrecken des Todes fährt allen in die Glieder und lässt die amüsiergeilen Einzelkämpfer von eben auf einmal ängstlich eng zusammenrücken.

Mit vier Sängern und acht Instrumentalisten hat Andreas Bode das Mozart-Requiem inszeniert. Als Performance aus Musik, Schauspiel und Pantomime: eine assoziative Folge menschlicher Urzustände im Angesicht des Todes.

Auf der Suche nach Idolen und Idealen werfen sich die Figuren einem Popstar zu Füßen; sie spenden Trost und bauen sich Schutzräume für private Spießigkeiten und Sängermacken (sehr schön: Catrin Kirchners Divenparodie). Und alle pflegen ihre Ängste: das Haar zu dünn, der Busen zu klein, der Bauch zu schwabbelig. Mit Turnen, Pudern, Ausstopfen und exzessivem Einsprühen bekämpfen sie die Verschleißerscheinungen - vergebliches Anstrampeln gegen das Altern, als Überzeichnung des allgegenwärtigen Jugendwahns choreografiert.

Bode integriert alle Mitwirkenden in die Handlung. Doch das kostet: Der große Aktionsradius und der Verzicht auf einen Dirigenten erschweren die musikalische Koordination erheblich. Dadurch verliert Tobias Schwenckes mit Rock und Jazz angereichertes Arrangement an Wirkung. Auch der szenische Bogen hat einige Hänger - und so können Bode und sein Team (großartig: Gwendolyn Jenkins' Kostüme) diesmal nicht ganz so beglückend irritieren wie sonst.

 

Marcus Stäbler